Geschichte

Die Geschichte der Gesellschaft Österreich Vietnam

(verfasst von Lic. phil. Emanuel J. Ringhoffer)

Wenige Monate nach dem Ende des Vietnamkrieges konstituierte sich im Oktober 1975 im Albert-Schweitzer-Haus in Wien die „Gesellschaft Österreich Vietnam“ (GÖV) auf Initiative von Studenten, Aktivisten der Solidaritätsbewegung und Mitarbeitern kirchlicher Hilfsorganisationen mit dem Ziel, den Wiederaufbau des völlig ausgebluteten Landes zu unterstützen.

An der (Anfang 1976 behördlich registrierten) Vereinsgründung beteiligten sich Vertreter des österreichischen Friedensrates, der Kommunistischen Partei Österreichs, des Bundes Demokratischer Frauen, der Sozialistischen Freiheitskämpfer, des VSStÖ (Verband Sozialistischer Studenten), der Caritas und der Volkshilfe.

Das erste GÖV-Präsidium setzte sich aus zwei prominenten ehemaligen Widerstandskämpfern, dem Röntgenologen Primarius DDr. Georg Fuchs und dem Gewerkschafter und Bildungsfunktionär Prof. Josef Hindels, sowie dem Theologen Univ.-Doz. Pfarrer DDr. Johannes Dantine zusammen, der später zum evangelisch-lutherischen Oberkirchenrat bestellt wurde.

Zu den Initiatoren gehörte auch Georges Wächter („Ho Chi Tho“) der zehn Jahre seines Lebens in Vietnam verbracht hatte und unter den schwierigsten Bedingungen für die Unabhängigkeitsbewegung tätig gewesen war. Besondere Verdienste hatte er sich bei der Bekämpfung des Rückfallfiebers erworben. Wächter, einer der wenigen europäischen Vertrauten von Präsident Ho Chi Minh, war 1951 aus Gesundheitsgründen nach Österreich zurückgekehrt.

Maßgeblichen Anteil am Aufbau der Freundschaftsgesellschaft hatten als Sekretäre Albert Hirsch und Annie Friedler. Im Vorstand saßen u.a. die Vorsitzende des Bundes Demokratischer Frauen, Irma Schwager, der Publizist und ehemalige Nationalratsabgeordnete Ing. Ernst Neded, der frühere Wiener Landtagsabgeordnete Franz Karger, der Bundesvorsitzende der Sozialistischen Jugend, Dr. Alfred Gusenbauer, die Politologen Dr. Helmut Kramer und Dr. Dero Fischer, die Journalisten Otto Janecek („Volksstimme“), Dr. Gertrude Roten-Osztovits (ORF), Lic.phil. Emanuel J. Ringhoffer (APA) und Peter Schmidt, der Salzburger Pfarrer Herbert Schmatzberger, Ing. Karl Schinko (Caritas), der spätere langjährige Vizepräsident Adalbert Krims (Aktionsgemeinschaft „Christen für die Friedensbewegung“), Prof. Mag. Erika Pöschl, Mag. Peter Lautischer (Österreichischer Friedensrat) und Marie Tran Thanh Thiep (verehelichte Scheiflinger), die an der Volkshochschule Brigittenau die ersten Vietnamesisch-Sprachkurse in Wien veranstalten konnte und auch Kontakt zu Flüchtlingsfamilien hatte.

Später kamen u.a. die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit (AGEZ), Christa Esterházy, Dr. Peter Kreisky (Arbeiterkammer), der Historiker und Vietnam-Buchautor Dr. Klaus Koch, Univ.-Prof. Dr. Werner Clement, Chef des Industriewissenschaftlichen Instituts, und Dr. Helmut Opletal (ORF) hinzu.

Als erstes Vereinslokal stellte der mit einer Vietnamesin verheiratete Exportkaufmann und Südostasien –Experte Franz Richter moderne Räumlichkeiten seiner Firma in Wien-Landstraße zur Verfügung. Dort fanden regelmäßig Vorträge mit bis zu 40 Teilnehmern statt. Ein Höhepunkt war der Besuch des ersten in Wien akkreditierten Botschafters Nguyen Manh Cam, der in Bonn residierte und später Außenminister und Vizepremier werden sollte.

Nach Richters tragischem Unfalltod – er ertank 1980 während eines Aufenthaltes in Thailand – fand die GÖV über ein Jahrzehnt lang Aufnahme als „Untermieterin“ bei der damaligen Österreichisch-Tschechoslowakischen Gesellschaft in der Mahlerstraße (innere Stadt).

Neben der Informationsarbeit über die ökologischen Langzeitfolgen des chemischen Krieges bildete das Sammeln von Spenden für einige der beklagenswertesten Spätopfer von Anfang an einen Schwerpunkt der Tätigkeit der GÖV, deren Mitgliederzahl zeitweise bis zu 450 betrug (zwei Drittel davon in Wien).

1998 kam es auf Initiative von Annie Friedler mit Hilfe des Schweizer Vietnam-Referenten des internationalen Kinderhilfswerkes „terre des hommes“, Milo Roten, zur Übernahme einer Patenschaft für das Waisenhaus Nr.6 („Mam Non 6“) in Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon), wo unter der Leitung der katholischen Ordensschwester Elisabeth Le Thi Thanh annähernd 300 geistig und körperlich zum Teil schwersten geschädigte Kinder betreut wurden (Die von den US-Streitkräften großflächig versprühten chemischen Entlaubungsmittel „Agent Orange“ hatten einen erheblichen Anstieg der Erbschädigungen und Missbildungen bei Neugeborenen zur Folge).

Mit finanzieller Hilfe der GÖV konnte dem Waisenhaus ein Kindergarten angegliedert werden. Es wurden Medikamente, Kleidung, Spielsachen und Mobiliar angeschafft und zusätzlich Hilfskräfte angestellt.

In einer äußerst schwierigen Situation befand sich die Gesellschaft, als Vietnam nach der Militärintervention in Kambodscha 1978/79 von fast allen westlichen Ländern an den Pranger gestellt und durch Verweigerung jeglicher Unterstützung – und auch vertraglich zugesicherter Hilfe in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar – „bestraft“ wurde.

Die GÖV trat den Angriffen entschieden entgegen und betonte , dass dem unvorstellbaren Terror der Roten Khmer nur durch militärisches Eingreifen Einhalt geboten werden konnte (so wie der Völkermord in Deutschland und Österreich nur Dank der militärischen Befreiung durch die Alliierten beendet wurde) – was inzwischen allgemein anerkannt worden ist. Gleichzeitig verwies sie darauf, dass Vietnam angesichts des Handelsembargos keine Aussicht auf wirtschaftliche Erholung hatte.

Als Außenminister Nguyen Co Thach im Juni 1989 nach Wien kam, um den Wunsch der vietnamesischen Regierung nach Einbeziehung Österreichs in den Teilnehmerkreis der Pariser internationalen Kambodscha-Konferenz zu deponieren, konnte er GÖV-Präsident J. Dantine und Vizepräsidentin I. Schwager den Dank für die geleistete Solidaritätsarbeit aussprechen. Wiederholte Aufrufe der GÖV an die Bundesregierung, die Möglichkeit offizieller österreichischer Entwicklungshilfe für Vietnam ins Auge zu fassen, blieben jedoch ungehört.

Die GÖV setzte sich intensiv dafür ein, dass Österreich kommerzielle Kontakte in Vietnam konsequent mit humanitären Aktionen verbindet. Sie machte geltend, dass ein kleines Land einen größeren „Goodwill-Effekt“ erzielen kann, wenn es seine Hand zur Kooperation ausstreckt, bevor die starken Industriemächte ins Geschäft einsteigen.

Nachdem die von Christian Die Hintze gegründete „Wiener Schule für Dichtung“ 1992 eine Partnerschaft mit dem vietnamesischen Institut „Nguyen Du“ geschlossen und dessen Direktor, Prof. Huynh Khai Vinh, nach Österreich eingeladen hatte, wurde in Hanoi auf Anregung des Schriftstellers Ngo Quang Phuc ein „Begegnungszentrum Vietnam-Österreich“ ins Leben gerufen, um über österreichische Kultur, Kunst und Literatur zu informieren.

Durch die fruchtbare Zusammenarbeit mit „terre des hommes“ (Milo Roten übernahm nach seiner Übersiedlung nach Wien die Vizepräsidentschaft) gelang es der GÖV auch, eine Reihe von Schul– und Kindergartenprojekten zu fördern, insbesondere in der Südprovinz Ben Tre im Mekong-Delta.